Mitte des 17. Jahrhunderts gründeten Maḥammad b. Maḥammad b. Nāṣir (gest. 1085/1674) und sein Sohn Aḥmad b. Nāṣir al-Ḫalīfa (gest. 1129/1717) mit der Nāṣiriyya eine der einflussreichsten Sufibruderschaften ihrer Zeit in Nord- und Westafrika. In einer Periode, die von den Kämpfen um die Nachfolge des verstorbenen marokkanischen Sultans Aḥmad al-Manṣūr (gest. 1011/1603) sowie von Dürre und Hungersnöten geprägt war, schufen sie im Süden Marokkos ein weit über die Grenzen des Landes hinaus bekanntes Wissenszentrum.
Maḥammad b. Nāṣir gehörte zu den wichtigsten marokkanischen Gelehrten des 17. Jahrhunderts. Einer seiner Nachkommen, der marokkanische Historiker Aḥmad b. Ḫālid an-Nāṣirī (gest. 1315/1897), zitiert in seinem Buch Ṭalʿat al-muštarī fī n-nasab al-ǧaʿfarī den folgenden Ausspruch:
Wenn nicht diese drei gewesen wären, dann wäre das Wissen in Marokko im 11. [17.] Jahrhundert wegen der vielen Prüfungen (fitan) versiegt, die darin auftraten, und das sind: Maḥammad b. Nāṣir in Darʿa, Muḥammad b. Abī Bakr ad-Dilāʾī in Dilāʾ und ʿAbd al-Qādir al-Fāsī.
Bei Muḥammad b. Abī Bakr ad-Dilāʾī (gest. 1046/1636) handelt es sich um den Führer der einflussreichen Sufibruderschaft ad-Dilāʾiyya; ʿAbd al-Qādir al-Fāsī (gest. 1091/1680) war einer der wichtigsten Ḥadīṯgelehrten Marokkos im 17. Jahrhundert. Mit diesen beiden und vielen weiteren Gelehrten in und außerhalb von Marokko standen Maḥammad b. Nāṣir und sein Sohn in engem Austausch.
Ihre Zāwiya im südmarokkanischen Tamgrūt, etwa 300 km westlich von Siǧilmāsa, wurde im Laufe des 17. Jahrhunderts zu einem der wichtigsten Zentren der Wissensvermittlung und zum sicheren Rückzugsort für die Gelehrten der Region. Angeschlossen an die Zāwiya war eine außerordentliche Bibliothek, deren Sammlung bis heute besteht und noch weit über 4.700 Manuskripte aus den verschiedensten Wissensdisziplinen umfasst.
Schon Ende des 17. Jahrhunderts war Maḥammad b. Nāṣir weit über die Grenzen Marokkos hinaus bekannt; die Nāṣiriyya hat Marokko im 17. und 18. Jahrhundert entscheidend geprägt. Dennoch ist sie in der westlichen Forschung bisher nur wenig beachtet, ihre Bibliothek bisher nicht erforscht worden. Hier wird die vorliegende Arbeit ansetzen. Im Mittelpunkt stehen Maḥammad b. Nāṣir und sein Sohn Aḥmad, ihre Bemühungen um die Verbreitung von Wissen und der Aufbau ihrer eindrucksvollen Sammlung von Manuskripten.
Mit meiner Masterarbeit habe ich versucht, diese Lücke zu füllen, indem ich die Bibliothek sowie die darin befindlichen Manuskripte, ihre Lebenswege und die Personen, die sie anfertigten und kauften, in den Blick nehme. Einerseits beantworte ich hier, wie und unter welchen Umständen die Bibliothek der Nāṣiriyya entstand und welches Profil die Bibliothek aufweist. Zum anderen habe ich untersucht, woher die darin befindlichen Manuskripte stammen und ob sie als Zeugen für die Einbindung der beiden Gründungsfiguren in ein translokales Netzwerk verstanden werden können. Der Fokus der Arbeit liegt dabei auf der Gründungsphase der Nāṣiriyya im 17. Jahrhundert.
Ein Ausschnitt aus der Arbeit findet sich hier.